Liebster Laube! | ||
20 | Schon seit einem Jahrhundert habe ich Lust oder vielmehr Unlust, Dir zu | |
schreiben; aber ich wollte eine gute Stunde abwarten, wo kein körperliches | ||
Mißbehagen den moralischen Unmuth steigert. Aber die Stunde kam nicht, | ||
und in einer Stimmung, die desperater als je, schreibe ich Dir heute. Ich habe | ||
bereits diesen Morgen meine Frau bis zu Thränen gequält und jetzt kommt | ||
25 | die Reihe an Dich, dem ich jetzt in der plumpsten Weise das Unangenehme | |
sagen will, das ich Dir bei besserer Laune viel glimpflicher oder überzuckert | ||
beigebracht hätte. Es gilt dieses zunächst Deinem Buche über das deutsche | ||
Parlament, das ich vor länger als 6 Monaten gelesen und doch noch nicht | ||
verdauet habe. Verschweigen darf ich Dir das nicht, oder kann ich Dir es | ||
30 | nicht, dazu bin ich zu sehr Deutscher. Doch wozu lange verschimmelten Ärger | |
wieder durchkäuen: soviel wisse, daß mich das Buch 8 Tage lang todtkrank | ||
machte. Es ist ein sehr gut geschriebenes Buch, das beste was ich von Dir | ||
gelesen habe, und Dein Verbrechen ist umso größer. Ja Du hast ein Ver- | ||
brechen an dem heiligen Geist begangen und Du weißt, daß diese Sorte von | ||
35 | Verschuldungen keine Vergebniß finden. Es betrübt mich zugleich der | |
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Gedanke, welcher schrecklichen Sühne Du dadurch entgegen gehst. Möge | ||
die Hand Gottes einst nicht zu schwer auf Dir lasten, denn ich weiß, daß Du | ||
wie ich selber, bei meinen sündigsten Handlungen nur aus Dummheit ge- | ||
frevelt. Du hast Geist genug, um Dummheiten begehen zu dürfen; was bei | ||
5 | dem Mittelmäßigen ganz unstatthaft ist, muß man dem Großen manchmal | |
erlauben. Das Schreckliche ist, daß Deine Gegner, die Dich mit dem Maßstab | ||
ihrer eignen Gemeinheit messen, Deine Handlung nich der Dummheit | ||
sondern der Klugheit zu schreiben. Wie weit ich davon entfernt bin, an die | ||
Motive zu glauben, die Dir der republikanische Tugendpöbel mit mehr oder | ||
10 | minder bona fide andichtet, kannst Du Dir leicht vorstellen; ich begreife | |
wie Du die Helden Deiner ehemaligen Parthei – (Du hast vielleicht vergessen, | ||
daß Du zur revolutionairen Parthei gehört hast und als ein Koryphäe derselben | ||
genug erduldet hast) – wie Du hohle Lieberale, strohköpfige Republikaner | ||
und den schlechten Schweif einer großen Idee, mit Deinem prickelenden, | ||
15 | durchhechelnden Talente lächerlich machen konntest – leichtes Spiel hattest | |
Du jedenfalls, da Du diese Personen nur getreu abzukonterfeien brauchtest, | ||
und die Natur Dir hier zuvorgekommen, indem sie Dir die Karrikaturen | ||
bereits fix und fertig vorgeführt, an die Feder geliefert – Du hast kopflose | ||
Menschen gulliotinirt. Aber ich begreife nicht, wie Du mit einer stoischen | ||
20 | Beharrlichkeit der Lobpreiser jener Schlechtern und noch Mittelmäßigeren | |
sein konntest, jener Heroen, die kaum werth sind, ihren geschmähten Gegnern | ||
die Schuhriemen zu lösen, und die sich resumiren in dem Edlen von Gagern, | ||
diesen Achilles, dessen Homer Du geworden bist. Du hast ihn so lieblich | ||
geschildert, daß wenn ich Pederast wäre, dieser Mann mein Mann werden | ||
25 | müßte, und ich ihm ebenfalls den Pelyten-Steiß küssen würde. Wie schade, | |
daß seine Mutter Thetis ihn nicht bei den Fersen sondern bei dem Kopf | ||
faßte, als sie ihn in den Styx tauchte, so daß der Kopf, der verletzliche schwäch- | ||
lichste Theil des Edlen wurde. Doch kein Wort mehr – auch werde ich ge- | ||
stört in diesem Augenblicke, – genug ich habe Dir meine Meinung gesagt, | ||
30 | unbekümmert um welchen Preis. | |
Und nun zu einem ebenfalls trüben Gegenstand. Über mein Ballet hast | ||
Du mir kein Wort wissen lassen, welche Saumseligkeit um so tadelhafter, da | ||
erstens mein Körperzustand nicht der Art ist, daß ich auf Etwas lange warten | ||
darf, und da ich Dir zweitens unumwunden den Grund angegeben habe, warum | ||
35 | ich diese Sache gefördert zu sehen wünschte, warum es mit ihrer Förderung | |
Eile hat. Es handelt sich hier nicht von einem literarischen Inter- | ||
esse, es stachelt mich hier nicht die Ruhmsucht, die mich überhaupt nie sehr | ||
gestachelt hat und ihre hinlängliche Befriedigung hier auf Erden fand; es | ||
handelte sich um die Interessen meines Suppentopfs, weit respectablere | ||
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Interessen, die mich leider bis zum letzten Augenblick beschäftigen. Was ich | ||
Dir bereits früher darüber geschrieben, hast Du vielleicht vergessen; meine | ||
Krankheitskosten haben sich seitdem vergrößert, es ist grauenhaft, wie ich | ||
nicht blos leiblich sondern auch finanziell abgezehrt bin. Es liegt ein Fluch | ||
5 | auf meinen Finanzen. Mit meinen Sippen und Magen stehe ich denselben | |
häkelichen Verhältnissen. Mein Vetter giebt mir eine höchst anständige | ||
Summe jährlich, die aber doch nicht hinreicht, weil ich in Paris wohnen muß; | ||
eine Transportirung nach Deutschland ist gar nicht mehr möglich, so sehr | ||
bin ich herunter, ich würde die Reise keinen Monat überleben, die Transport- | ||
10 | kosten wären verloren. Ueber diese Punkte sprach ich hier mit dem Dr. Joseph | |
Bacher, den Du seit dem in Wien gesehen haben wirst, und der Dir gewiß | ||
unsere Unterhaltung mitgetheilt hat. Er hatte die Idee, daß ich ein poetisches | ||
Buch auf Subscription herausgeben solle und machte sich anheischig, mir da- | ||
durch zu einer bedeutenden Summe zu verhelfen. Die Idee lächelte mir | ||
15 | nicht sehr, sie grinste mir vielmehr etwas säuerlich ins Gemüthe, da ich der- | |
gleichen immer für eine versteckte Bettelei ansah, obgleich unsere bedeutend- | ||
sten deutschen Schriftsteller sich einer solchen Form unterzogen. Ich wäre | ||
gern aus dieser Welt gegangen, ohne je auf den Dank meiner deutschen Mit- | ||
bürger Anspruch gemacht zu haben. Ich habe die gemeineren Berührungen | ||
20 | mit dem Publikum immer Campen überlassen. Und das soll nun anders sein, | |
noch kurz vor meinem Tode – ein verdrießlicher Gedanke ist es mir, zu | ||
einem solchen Hülfsmittel meine Zuflucht nehmen zu müssen. Konferire | ||
hierüber mit Herrn Bacher, der mir auch in Bezug auf das Ballet seinen Mit- | ||
eifer versprochen. – Ich weiß nicht, ob Du meinen Bruder nicht gesehen, da | ||
25 | ich ihm noch immer nicht geschrieben habe, und vielleicht auch nicht sobald | |
dazu komme, ihm zu schreiben, so wäre es mir lieb, wenn Du ihm authentische | ||
Nachrichten von mir gäbest, da in deutschen Blättern so viel Widersinniges | ||
von mir gerdet wird. Solltest Du mit dem Ballet zu keinem Resultate ge- | ||
kommen sein und auch kein nahes vorhersehen, so bitte ich, dieses Manu- | ||
30 | script sehr stark versiegelt an meinen Bruder zu geben mit dem Bemerken, | |
daß ich ihm seiner Zeit, anzeigen werde, wie ich darüber verfügen will. Ich | ||
bitte Dich auch, Herrn Bacher anzugehen, daß er mir über die besprochene | ||
Angelegenheit, sobald als möglich schreibt. Ich habe Dir auch geschrieben, | ||
daß Du meine kleine Tragödie William Ratkliff einmal durchlesen und mir | ||
35 | sagen solltest, ob sie für das Theater zurichtbar sei, in welchem Falle ich mich | |
namentlich erböte, die vielleicht mißfälligen Geistererscheinungen darin aus- | ||
zumerzen und noch ein oder zwei Szenen hinzuzudichten, um dem Einwurf | ||
einer zu großen Kürze zu entgehen. Aber ich habe auch hierüber von Dir | ||
keinen Brief erhalten. | ||
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Mein Zustand hat sich insofern verschlimmert, daß meine Kontractionen | ||
stärker und dezitirter geworden. Ich liege zusammengekrümmt, Tag und | ||
Nacht in Schmerzen, und wenn ich auch an einen Gott glaube, so glaube ich | ||
doch manchmal nicht an einen guten Gott. Die Hand dieses großen Thierquälers | ||
5 | liegt schwer auf mir. Welch ein gutmüthiger und liebenswürdiger Gott war | |
ich in meiner Jugend, als ich mich durch Hegels Gnade zu dieser hohen Stel- | ||
lung emporgeschwungen! Ich lebe ganz isolirt und sehe wenig Deutsche, | ||
außer durchreisende Fremde. Meißner war hier und ich sah ihn viel. Auch | ||
seinen großen Landsmann Moritz Hartmann sah ich dieser Tage; ist ein sehr | ||
10 | hübscher Mensch, und alle Frauenzimmer sind in ihn verliebt, mit Ausnahme | |
der Musen. Er ist hier im Gefolge von Adolph Stahr und Fanny Lewald, | ||
bei welchen er lohnlakayert und sich ein literarisches Trinkgeld verdienen wird. | ||
Stahr's Reise nach Italien habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Deinen | ||
politischen Glaubensgenossen, A. Weill sehe ich gar nicht mehr. | ||
15 | Monsieur Bamberger, der berühmte Hebbellist hat sich einige kleine Stin- | |
kereychen zu Schulden kommen lassen und bleibt jetzt weg. Wie Meyerbeer | ||
an mir gehandelt hat, als er glaubte, ich sei schon todt und nicht mehr exploi- | ||
tirbar, ist Dir bekannt; er ist wieder hier in Ruhmgeschäften. Seuffert hatte | ||
sich einigermaßen vom Soff zurückgezogen und sich der Religion in die Arme | ||
20 | geworfen; jetzt aber scheint er beides vereinigen zu wollen und noch oben- | |
drein die Liebe hinzuzufügen: er ist verliebt und Bachus, Christus und Amor | ||
bilden jetzt seine Dreieinigkeit. Er ist aber von allen Hiesigen der Beste | ||
und jedenfalls der Geistreichste. Karbeles hat geheirathet, und zwar eine junge | ||
Dame, die ihn an Schönheit übertrifft. Meinen Freund Balzac habe ich ver- | ||
25 | loren und beweint. George Sand, das Luder hat sich seit meiner Krankheit | |
nicht um mich bekümmert; diese Emancipatriçe der Weiber oder vielmehr | ||
diese Emancimatriçe hat meinen armen Freund Chopin in einem abscheulichen | ||
aber göttlich geschriebenen Roman auf's Empörendste maltraitirt. Ich ver- | ||
liere einen Freund nach dem andern und bey denen die mir übrig bleiben er- | ||
30 | probt sich das alte Sprichwort: Freunde in der Noth gehn sechzig auf ein | |
Loth – | ||
Aber das Sprichwort ist doppelschneidig, es kritisirt nicht blos die Beklagten | ||
sondern auch den Kläger: mich trifft jedenfalls der Vorwurf daß ich in der | ||
Wahl meiner Freunde sehr kurzsichtig war und ich deren so leichte wählte. | ||
35 | Welche Menge Freunde muß ich jetzt haben, daß mir ein Pfund heraus- | |
kommt. | ||
Schreibe mir bald Antwort, meine Adresse ist: rue d'Amsterdam 50. – | ||
Ich vergaß Dir oben zu sagen, daß ich mit meinem Freunde Kampe noch | ||
immer in derselben Lage stecke; dieser Freund in der Noth hat mir seit länger | ||
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als 2 Jahren nicht geschrieben, beschränkt sich darauf, die halbjährigen Wech- | ||
sel zu zahlen, die ich contractmäßig auf ihn trassire, eine geringe Summe, | ||
welche nicht einmal ausreichen würde, meine Krankenwärterin zu bezahlen, | ||
indem ich dieser Person außer der Beköstigung täglich 5 frc. zahlen muß. | ||
5 | Deine Frau laß ich freundschaftlich grüßen, so wie auch meine Mathilde, | |
die Euch beiden die hübschesten Dinge (bien des choses) sagen läßt. Ich wünsche | ||
Euch Gesundheit und Heiterkeit und empfehle Euch dem besondern Schutze | ||
Gottes. | ||
Heinrich Heine. | ||
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