Lieben Freunde! In diesem schändlichen Ultrawinter, wo jeder honetter libe- | ||
raler Mensch krank war, habe auch ich sehr gelitten; ich bin jetzt wieder auf die | ||
5 | Besserung nachdem ich vier Wochen lang mich von Blutigeln, Spanischen | |
Fliegen, Apothekern und bedauernden Freunden quälen lassen. Ich warf | ||
viel Blut, und da ich aus der Literaturgeschichte wußte, was dergleichen bey | ||
Versifexen zu bedeuten hat, so wurde ich ängstlich und habe mir aus Angst alle | ||
poetischen Gefühle und noch viel mehr alles Poetisiren streng untersagt. Mit | ||
10 | der Poesie ist es also aus; hoffentlich aber werde ich deßhalb um so prosaisch | |
länger leben. In jener kranken Zeit hat mir auch Ihr und Fr. v. V. | ||
letzter Brief recht wohlgethan; denn wenn auch meine Buchangelegenheiten, | ||
in so fern wie sie zur Publikumsache werden, mich im Grunde wenig affiziren, | ||
so haben sie doch in Privatverhältnissen manches hervorgebracht, oder brin- | ||
15 | gens noch hervor, was mir viel crêve coeur verursacht. Alle meine Verhältnisse | |
verschieben sich aufs unleidlichste, und da noch nicht alle Folgen meines | ||
Buches zur Erscheinung gekommen, so kann ich vielleicht erst diesen Sommer | ||
meine eigne Stellung in der Welt begreifen. Nichts desto weniger bin ich die | ||
Ruhe selbst; ja ich möchte jetzt einen Ausdruck auf mich anwenden den ich | ||
20 | einst für Sie Herr v. V. erfunden habe: die Ruhe ist meine größte | |
Leidenschaft. – Daher mögen Sie auch sicher seyn, daß ich gegen die Angriffe, | ||
die ich meines Buchs halber noch erwarte, nichts öffentliches schreiben werde. | ||
Verläumdet man und lügt man noch stärker als ich es zu ertragen vermag, so | ||
lasse ich mir die Hände binden, damit ich nichts schreibe. Sollte Platen öffent- | ||
25 | lich wieder gegen mich etwas schreiben, so soll es von Ihnen abhängen ob ich | |
antworten werde und was und wie. – Wenn der letzte Aufsatz im leipz | ||
Conversaz. Blatt von Ihnen ist – was ich glaube obgleich ich Ihren Styl | ||
darinn ganz verändert finde – so war das rechte Hülfe in der Noth, da ein | ||
vorhergehender Artikel in jenem Blatte überaus niederträchtig war (er ist in | ||
30 | süddeutschen Blättern nachgedruckt) und auch hier meinen Gegnern viel | |
Gaudium verursacht. Das Scharfrichterlob hat mir mehr Vergnügen gemacht | ||
als hätte man mich für einen Shakespear erklärt. Ach, es ist mir bey meinem | ||
letzten Buch nicht um Lob und Anerkennung für meine Poesie zu thun, son- | ||
dern ich will nur wissen: ob es mir gelang ein Exempel zu statuiren und ob d e r | ||
35 | Kopf herunter ist. | |
haben Sie keine Spur wer der Vfr jenes Schmähartikels im Conv.-Blatt | ||
ist? Nach inneren und äußeren Kennzeichen ist er derselbe der | ||
Februar 1830 — HSA Bd. 20, S. 388 | ||
jüngst im Globe einen Artikel über deutsche Literatur hat drucken lassen, | ||
worinn ich ebenfalls gemein mißhandelt worden. Hier soll Gans aushelfen. | ||
Ich habe Ihnen durch einen Reisenden, der just nach Berlin reiste, 6 Ex | ||
meines Buchs zugeschickt (ich hoffe daß Sie solche bereits erhalten) und ich | ||
bitte Sie zwey Ex an Gans zu geben, damit er sie an seine pariser | ||
Bekannten, nemlich den Literaten des Globes u der Revue francaise schicke, | ||
und somit jeder feindseligen Machinazion von jener Seite vorgebaut werde. | ||
Die übrigen 4 Ex stelle ich zu Ihrer Disposizion, lieber Varnhagen, und | ||
Sie können sie an solche Leute verschenken von denen Sie glauben daß sie für | ||
die Streitfrage des Buches günstig wirken können. Ich habe nöthig dergl zu | ||
thun, da ich meinen eignen Buchhändler in feindseligen Umtrieben ertappt. | ||
Daß im Gesellschafter ein Artikel erschien, der in der Hauptsache nicht schlim- | ||
mer seyn konnte, hätte mich verdrießen können, wenn ich nicht zu viel Ekel | ||
dabey empfunden hätte. Voll Vertrauen auf den Menschenverstand meines | ||
Freundes Moser, mit dem ich immer gleichdachte, schickte ich ihm mein Buch | ||
sobald es die Presse verließ, vertraue ihm meine Besorgnisse in Hinsicht der | ||
Platenschen Affaire, bitte ihn in dieser Hinsicht dem Buche Freunde zu wer- | ||
ben, und sage ihm dabey daß er seinen Freund Veit ersuchen soll mir da bey- | ||
stand zu leisten, da dieser junger Mensch in Berlin als blinder Enthousiast und | ||
Anbeter mir anhing – ach! er überlief mich so oft und verdarb mir so manche | ||
Stunde! In Folge dessen hat der junge Mensch seinen ganzen Scharfsinn aufge- | ||
boten mich als einen Schurken (d. h. ein Mensch der das Gute heuchelt) | ||
darzustellen und mein Buch als verrufen, dessen er in seiner guten Gesellschaft | ||
(Gott lob! ich habe just 10 Invitazionen dieser guten Gesellschaft, die mir zu | ||
schlecht war, ausgeschlagen) nicht erwähnen dürfe. Eben so singt mein Freund | ||
Moser – wenn ich den noch Freund nennen kann, der in den Hauptdingen des | ||
Lebens nicht mit mir stimmt. Das sind Odiosa. Ich habe mir aber fest vorge- | ||
nommen, solchen Freunden abzusagen und was erklärte Feinde betrifft keinem | ||
was zu vergeben wenn ich sie in der Platenschen Sache in Flagranti ertappe. – | ||
Von Immerman habe ich unterdessen mehre Briefe erhalten, voll Ueber- | ||
einstimmung, den ersten lege ich bey u erbitte mir ihn gelegentlich zurück. | ||
d 28 Febr. 1830. | ||
Ich hatte gestern meinen Brief schließen wollen als ich Ihre Zusendung des | ||
Conv. Blattes erhielt und Frau v. Varnhagens Imperativ (Antwort!) | ||
35 | mich bewog die Absendung dieses Briefes aufzuschieben um noch einige Zeilen | |
hinzuzufügen – welches mir aber sauer wird, da mein armer Kopf im Zustand | ||
der ödesten Ermattung. Für den Conv. Bl.-Artikel danke ich noch- | ||
mals; Sie sind der einzige der sich in dieser tristen Noth ganz praktisch meiner | ||
Februar 1830 — HSA Bd. 20, S. 389 | ||
annimmt – ich habe alles was ich dabey empfinde in diesen Worten angedeu- | ||
tet. In den hiesigen Lesefrüchten ist jener Artikel ohne mein Zuthun, gleich | ||
abgedruckt worden, und ich benutze ihn vielleicht noch außerdem, in einer | ||
Buchhändleranzeige verwebt, für die Allg. Zeitg – wenn die den Abdruck | ||
5 | gestattet. Mit Staegemann steh ich gut, Lebret ist mein Glaubensgenosse in | |
Buonaparte – nur auf Cottas kann ich mich nicht mehr verlassen. Madame ist | ||
mir feindlich, und sobald der Alte stirbt brech ich ihr den Hals. Diese Feind- | ||
schaft verdank ich meiner Vorliebe für Madam Robert. Ich bemerke diese | ||
Dinge noch für den Fall Sie etwa es bewerkstelligen könnten, daß ein Corre- | ||
10 | spondenzartikel aus Berlin in die Algemeine Zeitung geschmuckelt werde, | |
worin, unter andern, hingesagt wird was man in Berlin über den Platenstreit | ||
verschiedentlich spricht. Auf jeden Fall wünschte ich, lieber Hr v. V. | ||
daß Sie mir einen solchen Artikel für den hamb. Correspondenten schrie- | ||
ben, denn ich stehe ganz süperbe mit dessen Redakteur, dem kleinen Runkel, | ||
15 | der alles druckt was ich will. Nur Sie können einen so delikaten Artikel | |
schreiben, der um so schwerer je kürzer er seyn muß, der in den wagesten | ||
Worten das Bestimteste sagt. Es gilt dem Publikum weiß zu machen es habe | ||
schon jetzt die Bedeutung jenes Streites begriffen und lasse sich nicht irre | ||
machen von Intriguen die es seinem eigenen Interesse entfremden möchten. | ||
20 | Trotz aller Versuche vermochte ich nicht mir selbst so einen Schutzartikel zu | |
schmieden, mir fehlt jene diplomatische Farbendämpfung, jene zierliche Ge- | ||
wandtheit, die Ihnen so eigen ist. Sie könnten nun, wie Sie wollen, einen | ||
solchen Artikel (ich setze voraus er macht Ihnen wenig Mühe) direct an | ||
Runkel schicken oder auch an mich direkt, obgleich ersteres vielleicht pass- | ||
25 | licher. – Zimmerman hat für den : Hamb. Correspondenten eine | |
Beurtheilung meines Buches versprochen, und ich denke Sie werden sie dort | ||
nächstens lesen. Hier gilt er schon für den Vfr Ihres Aufsatzes – und er | ||
scheint diese Ehre nicht bestimmt ablehnen zu wollen. | ||
Ich wiederhole daß ich im ersten Momente Ihren Styl bey jenem Artikel | ||
30 | nicht erkannt, nur bey näherer Betrachtung kamen mir die Feinheiten ganz | |
wohl bekannt vor. Ich lese jetzt den 4 Band von Göthes u Schillers Brief- | ||
wechsel, und wie gewöhnlich mache ich Stylbeobachtungen. Da finde ich wie- | ||
der daß Sie nur mit dem frühesten Goethe, mit dem Werther-Goethe, Aehn- | ||
lichkeit im Styl haben; Ihnen fehlt ganz die spätre Kunstbehaglichkeit des | ||
35 | großen Zeitablehnungsgenies, der sich selbst letzter Zweck ist. Er beherrscht | |
seinen Stoff, Sie bezwingen ihn. Abründung, Helldunkel, Perspektive der | ||
Zwischensätze, mechanisches Untermalen der Gedanken, dergleichen kann | ||
man von Goethe lernen – nur nicht M änn l i c h k e i t . Es ist noch immer meine | ||
fixe Idee daß mit der Endschaft der Kunstperiode auch das Goethenthum zu | ||
März 1830 — HSA Bd. 20, S. 390 | ||
Ende geht; nur unsre ästhetisirende, philosophirende Kunstsinnzeit war dem | ||
Aufkommen Goethes günstig; eine Zeit der Begeistrung und der That kann | ||
ihn nicht brauchen. Aus jenem 4ten Briefsammlungtheil sah ich klar wie | ||
ingrimmig er die Revoluzion haßte, er hat in dieser Hinsicht ungünstig auf | ||
5 | Schiller eingewirkt, den er vielleicht am Ende zum Mitaristokraten gemacht | |
hätte. Vgl seine Verhöhnung Posselts, Campes, des Bürgerdiploms das Schiller | ||
aus Frankr. erhielt u. s. w. Entschuldigen Sie mein wirres Schreiben, mein | ||
Kopf ist so matt; sonst würde ich auch vieles an Fr. v. V. sagen, an | ||
Frau v. V. die für die Wahrheit gekämpft, gelitten, gestritten und sogar | ||
10 | gelogen hat – Wie ergötzt mich jede Zeile, die sie schreibt! | |
Grüßen Sie mir Robert und seine Frau, der ich dieser Tage schreiben will. | ||
Ich lasse sie bitten, noch ehe sie Brief von mir erhält, mir nochmals einige | ||
Zeilen zu schreiben; ich wills ihr in besseren Zeiten schon gedenken. – Wie | ||
lang ich hier bleib weiß ich nicht, was ich jetzt beginne weiß ich auch nicht, | ||
15 | kurz ich weiß gar nichts. Ich glaub aber auch nicht daß Andre viel mehr wis- | |
sen. | ||
Leben Sie wohl, recht innig herzlich wohl, so gut es Ihnen nur möglich ist, | ||
und behalten Sie mich lieb und werth. | ||
Ihr | ||
20 | H. Heine. | |