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| | Entstehung und Aufnahme des ‹Buchs der Lieder |
5 | | Heines Plan einer Gesamtausgabe seiner Jugendgedichte kommt in einem |
| | Brief an seinen oft um Ratschläge aller Art angegangenen Freund Varnhagen |
| | von Ense vom Oktober 1826 zum Ausdruck. Der mehrseitige, nach langem |
| | Schweigen geschriebene Brief vermittelt ein Gesamtbild von Heines Erfahrun- |
| | gen in den voraufgegangenen Monaten, von seinen Stimmungen und Zu- |
10 | | kunftsplänen. Es erscheinen hier, zum erstenmal in dieser Form, recht inter- |
| | essante Gedankengänge: unter dem Eindruck des großen Erfolges des ersten |
| | Bandes der Reisebilder schreibt der Dichter, er sei jetzt in der Lage, sich ganz |
| | zwanglos auszudrücken. Ich darf jetzt Alles sagen. Varnhagen macht er sogar |
| | das Angebot, sein Sprachrohr zu werden, Themen zu behandeln, die dieser |
15 | | gern in die Öffentlichkeit bringen möchte, auch womöglich Texte von ihm |
| | unter Decknamen zu geben: und Sie können sich auf meine heiligste Discre- |
| | tion verlassen. Einen ähnlichen Vorschlag hat er einige Tage vorher, am |
| | 14. Oktober, dem ihm eng befreundeten Moses Moser gemacht. Das Bewußt- |
| | sein, über eine wirksame Stimme zu verfügen, verstärkt sich, der Ton der |
20 | | Oktober- und Novemberbriefe aus dem Jahre 1826 wird selbstsicher: |
| | <...> es kümmert mich wenig ob ich mir ein Dutzend Feinde mehr oder |
| | weniger aufsacke. Heine bittet nicht mehr um Anerkennung, versteht sich |
| | vielmehr als ein schon einflußreicher Schriftsteller, der die Meinungsbildung |
| | beeinflussen kann. |
25 | | __Diesen Umschwung einer noch in der vorhergehenden Norderney-Woche |
| | recht trübseligen Stimmung verdankt er ganz dem Erfolg der Reisebilder: Das |
| | Buch hat viel Spektakel gemacht und viel Absatz gefunden (24. Oktober 1826). |
| | Gleich nach dieser Erfolgsmeldung in dem oben angeführten Brief an Varn- |
| | hagen erscheint die allererste Erwähnung einer Gedichtsammlung, die er sozu- |
30 | | sagen im Gefolge der kräftig ziehenden Reisebilder veröffentlichen möchte. |
| | Beinahe nebenbei wird hier auf die Gedichte angespielt. Es ist von Dedikatio- |
| | nen die Rede. Varnhagen möchte er die zweite Auflage der Reisebilder wid- |
| | men, während seiner Gattin auch im Rahmen der künftigen Sammlung die |
| | Heimkehr dediziert bleiben wird in der großen Sammlung meiner sämtlichen |
35 | | Gedichte, die ich doch bald ediren werde. Zum erstenmal spricht Heine von |
| | seinen Gedichten freimütig in einem von jedem Zweifel befreiten Ton. Bis |
| | dahin schickte er seine Werke, auch an die besten Freunde, mit großer Zurück- |
| | haltung, bat um Nachsicht, tadelte gern selbst seine unbedeutenden Stücke: |
| | der erste große Erfolg diktiert ihm andere Worte in die Feder: eine große |
40 | | Sammlung meiner sämtlichen Gedichte. |
| | __Dazu wäre noch anzumerken: der große Widerhall seines publizistischen |
| | Werkes teilweise aktuellen Inhalts, also eines zeitgebundenen, meist kritisch- |
| | ironischen Prosawerkes, bei dem Heines Eigenart viel deutlicher als zuvor in |