HSA, Bd. 10, S.         
 
  Hausinteressen zu verrathen. Wüßte ich nicht, daß die herrschende Idee
   unserer Tage -- und ich will sie bey ihrem Namen nennen: die Demokratie --
   im Boden Frankreichs tiefer wurzelt als jede andre Herrschaft, so würde ich
   ihre Zukunft sehr gefährdet glauben; denn ich erblicke in ihrer Nähe gar
5  zweydeutige Gesichter, ich sehe wie eine Menge Lakayen des alten Regimes
   sich in ihre Livree vermummen und unter dem Tressenhut ihres Haushof-
   meisters bemerke ich die Tonsur. -- Daß die Idee der Demokratie in Frank-
   reich herrschend ist, unterliegt keinem Zweifel. Der ungeheure Absatz den
   die demokratischen Broschüren finden, ist der sicherste Beweiß. Täglich
10  werden dergleichen von der Regierung konfiscirt. Die wichtigsten in der
   letzten Zeit waren die Broschüren von Louis Blanc und Lamennais. Von
   ersterem habe ich bereits in diesen Blättern gesprochen: es ist das gescheuteste
   Köpfchen seiner Parthey und das bravste Herz. Ueber des Abbé Lamennais
   glänzendes Talent brauche ich nicht erst zu berichten. Ich zweifle nicht, daß
15  er es ehrlich meint, nemlich mit der katholischen Religion, die er mit der
   Demokratie verbünden will: denn er glaubt, daß letzterer die Weltherrschaft
   anheimfalle. Die römische Kurie hat den großen Priester nicht verstanden;
   die Härte, womit sie seinen wohlgemeinten Eifer ablehnte, ist jedenfalls
   tadelnswerth. Armer Lamennais! Ich begreife seinen Kummer ob der Scho-
20  nungslosigkeit womit die Seinigen ihn behandelt, ihn, den Kämpfer des
   Glaubens, der zum Heil des Glaubens sein eignes Heil aufs Spiel setzte, mit
   der Ketzerey fraternisirte, und sich der ewigen Verdammtniß preiß gab! Daß
   er, der römisch katholische Lamennays, sich am Ende von Rom lossagen
   mußte, war gewiß der größte Schmerz seines Lebens, und er muß daran ver-
25  bluten. Wenn nicht gar ob dieser heroischen Selbstaufopferung die Qual der
   Reue ihn später erfaßt! Schon jetzt kann er des Nachts nicht mehr schlafen: er
   sieht lauter kleine Teufel mit Lichtchen, die um sein Lager herum tänzeln und
   hüpfen; er sieht wie die Bettgardienen Feuer fangen und die Hollengluten
   über ihn zusammen schlagen; zitternd und zähneklappernd verkriecht er sich
30  unter der Decke, bis der Spuk vorüber ist; hernach weint er bitterlich. Sein
   Verstand kann ihn nicht schützen vor den Schrecknissen seines eingewurzelten
   Kindheitsglaubens; so erzählen seine Freunde. Die Feinde, wie immer ge-
   schieht, geben der Stärke seines Geistes ein besseres Zeugniß. -- Vor einigen
   Tagen konfiszirte man l'Evangile du Peuple, ebenfalls eine demokratische
35  Broschüre, worin die radikalste Freyheits- und Gleichheitslehre aus der Bibel
   deduzirt und der göttliche Bergprediger als ein Montagnard von 1793 dar-
   gestellt wird. Der Verfasser, Namens Esquiros, ist ein junger Mensch von
   etwas weiblicher Natur, schwärmerisch sanft wie eine Predigerstochter im
   Mondschein, dabey aber auch beseelt von werkthätiger Frömmigkeit, gleich
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