|
|
| | Materie gehorcht dem Geiste, und wenn der Geist es verlangt, opfert sich |
| | sogar der Lügner für die Wahrheit und der Schelm für das Recht. Auch ist |
| | Gott nicht als reiner Geist abgeschieden von der Welt, in einem besonderen |
| | Kasten, welcher Himmel heißt; nein, Gott ist |
5 | | |
| |
| | |
| | Ealles was da ist. |
10 | | Gott und Welt sind nur verschiedene Ausdrücke für dieselbe Sache. Es |
| | giebt keine Trenn<un>g zwischen Geist und Materie; eins bedingt das |
| | andre und ihre Einheit ist das Absolute. »Der Gedanke (Geist) ist die |
| | unsichtbare Natur (Materie) und die Natur ist der sichtbare Gedanken.« |
| | Diesen Satz der Identitätslehre werde ich oft im Sinne tragen und meine |
15 | | Worte werden manchmal als Variazionen desselben gelten können. Denn |
| | nicht bloß dient er als Stütze einer möglichen Ethik, wie oben schon be- |
| | deutet, sondern es ergeben sich daraus die größten Wahrheiten der Poetik, |
| | und er findet noch fruchtbarere Anwendung wenn ich das Wesen der neue- |
| | ren deutschen Literatur zu erklären und zu erläuteren habe. |
20 | | Diese Erklärungen und Erläuterungen, sind der Hauptzweck dieser Blät- |
| | ter. Ich bezwecke Eweder eine Geschichte der neueren Literatur, noch eine |
| | Critik der Schriftsteller. Allerley Angaben über Inhalt der Bücher, Zweck |
| | und Charakter ihres Verfassers, Ursache des Beyfalls oder des Mißlingens, |
| | all dergleichen, verbunden mit der strengsten Chronologie, giebt dem fran- |
25 | | zösischen Publikum keine Idee von dem Geist unserer Literatur noch von |
| | den verschiedenen Phasen dieses Geist<s> und eben so wenig von der |
| | Natur unserer literarischen Bewegungen. Diese letztere stehen im Zusam- |
| | menhang mit den politischen Bewegungen im übrigen Europa, und ihr |
| | innigstes Wesen ist nicht zu begreifen wenn wir ihren geheimsten Quellen in |
30 | | der mittelalterlichen Vergangenheit nachsuchen. |
| | Da die Natur d. h. die Erscheinungswelt der sichtbare Gedanken ist, so |
| | werde ich in der deutschen Geschichte manchmal die Bedeutung des deut- |
| | schen Gedankens d. h. der Literatur erforschen, und das Leben wird den |
| | Schlüssel geben um die Räthsel der Philosophie und der Kunst zu lösen. |
35 | | EIch nenne Philosophie und Kunst als die reinsten Formen des Gedankens. |
| | In jener, der Philosophie manifestirt sich der Gedanke durch den Begriff, |
| | durch die Abstrakzion, in dieser, in der Kunst durch das Bild, durch das |
| | Symbol; jene giebt die reine Wissenschaft, diese die reine Anschauung. |
| | Als eine dritte Form des Gedankens wird gewöhnlich die Religion er- |
40 | | wähnt. Nach meiner Meinung ist sie aber keine reine Form. Sie ist eine |
| | Mischform; Philosophie und Kunst ist in ihr verschmolzen; jene finden wir |
| | repräsentirt im Dogma, diese im Kultus versteckt, und mystisch tritt <sie> |
| | ins Gemüth der M<en>schen von außen, sie entwickelt sich nicht aus |