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| | Ich wäre in Verzweiflung wenn die wenigen Andeutungen, die mir (Seite 190) |
5 | | in Betreff des großen Eklektikers entschlüpft sind, ganz mißverstanden wer- |
| | den. Wahrlich, fern ist von mir die Absicht Herren Viktor Cousin zu verklei- |
| | nern. Die Titel dieses berühmten Philosophen verpflichten mich sogar zu |
| | Preis und Lob. Er gehört zu jenem lebenden Pantheon Frankreichs, welches |
| | wir die Pairie nennen, und seine geistreichen Gebeine ruhen auf den Sammet- |
10 | | bänken des Luxembourgs. Dabey ist er ein liebendes Gemüth, und er liebt |
| | nicht die banalen Gegenstände, die jeder Franzose lieben kann, z. B. den |
| | Napoleon, er liebt nicht einmal den Voltaire, der schon minder leicht zu |
| | lieben ist ... nein des Herren Cousins Herz versucht das Schwerste: er liebt |
| | Preußen. Ich wäre ein Bösewicht wenn ich einen solchen Mann verkleinern |
15 | | wollte, ich wäre ein Ungeheur von Undankbarkeit .... denn ich selber bin ein |
| | Preuße. Wer wird uns lieben wenn das große Herz eines Viktor Cousin nicht |
| | mehr schlägt? |
| | Ich muß, wahrlich, alle Privatgefühle, die mich zu einem überlauten En- |
| | thousiasmus verleiten könnten, gewaltsam unterdrücken. Ich möchte nemlich |
20 | | auch nicht des Servilismus verdächtigt werden; denn Herr Cousin ist sehr |
| | einflußreich im Staate, durch seine Stellung und Zunge. Diese Rücksicht |
| | könnte mich sogar bewegen, eben so freymüthig seine Fehler wie seine |
| | Tugenden zu besprechen. Wird er selber dieses mißbilligen? Gewiß nicht! |
| | Ich weiß, daß man große Geister nicht schöner ehren kann, als indem man |
25 | | ihre Mängel eben so gewissenhaft wie ihre Tugenden beleuchtet. Wenn man |
| | einen Herkules besingt, muß man auch erwähnen, daß er einmal die Löwen- |
| | haut abgelegt und am Spinnrocken gesessen; er bleibt ja darum doch immer |
| | ein Herkules! Wenn wir eben solche Umstände von Herrn Cousin berichten, |
| | dürfen wir jedoch feinlobend hinzufügen: Herr Cousin, wenn er auch zu- |
30 | | weilen schwatzend am Spinnrocken saß, so hat er doch nie die Löwenhaut |
| | abgelegt. |
| | In Vergleichung mit dem Herkules fortfahrend, dürften wir auch noch |
| | eines anderen schmeichelhaften Unterschieds erwähnen. Das Volk hat nem- |
| | lich dem Sohne der Alkmene auch jene Werke zugeschrieben, die von ver- |
35 | | schiedenen seiner Zeitgenossen vollbracht worden; die Werke des Herren |
| | Cousin sind aber so kolossal, so erstaunlich, daß das Volk nie begriff, wie |
| | ein einziger Mensch dergleichen vollbringen konnte, und es entstand die |
| | Sage, daß die Werke, die unter dem Namen dieses Herren erschienen sind, |
| | von mehren seiner Zeitgenossen herrühren. |
40 | | So wird es auch einst dem Napoleon gehn; schon jetzt können wir nicht |
| | begreifen, wie ein einziger Held so viele Wunderthaten vollbringen konnte. |
| | Wie man dem großen Victor Cousin schon jetzt nachsagt, daß er fremde |
| | Talente zu exploitiren und ihre Arbeiten als die seinigen zu publiziren |