DHA, Bd. 8/1, S.         
 
  DZweites Buch.
    
  DI.
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  Mit der Gewissenhaftigkeit, die ich mir streng vorgeschrieben, muß ich
  hier erwähnen, daß mehrere Franzosen sich bey mir beklagt, ich behan-
  delte die Schlegel, namentlich Herrn August Wilhelm, mit allzuherben
  Worten. Ich glaube aber solche Beklagniß würde nicht statt finden,
10 wenn man hier mit der deutschen Literaturgeschichte genauer bekannt
  wäre. Viele Franzosen kennen Herrn A. W. Schlegel nur aus dem
  Werke der Frau v. StaĆ«l, seiner edlen Beschützerinn. Die meisten
  kennen ihn nur dem Namen nach; dieser Name klingt ihnen nun im
  Gedächtniß Dals etwas verehrlich Berühmtes, wie etwa der Name Osiris,
15 wovon sie auch nur wissen, daß es ein wunderlicher Kautz von Gott ist,
  der in Egypten verehrt wurde. Welche sonstige Aehnlichkeit zwischen
  Herrn A. W. Schlegel und dem Osiris statt findet, ist ihnen am aller-
  wenigsten bekannt.
  Da ich einst zu den akademischen Schülern des ältern Schlegel ge-
20 hört habe, so dürfte man mich vielleicht in Betreff desselben zu einiger
  Schonung verpflichtet glauben. Aber hat Herr A. W. Schlegel den alten
  Bürger geschont, seinen literärischen Vater? Nein, und er handelte
  nach Brauch und Herkommen. Denn in der Literatur, wie in den
  Wäldern der nordamerikanischen Wilden, werden die Väter von den
25 Söhnen todtgeschlagen, sobald sie alt und schwach geworden.
  Ich habe schon in dem vorigen Abschnitt bemerkt, daß Friedrich
  Schlegel bedeutender war, Dals Herr August Wilhelm; und, in der That,
  letzterer zehrte nur von den Ideen seines Bruders, und verstand nur die
  Kunst sie auszuarbeiten. Fr. Schlegel war ein tiefsinniger Mann. Er
30 erkannte alle Herrlichkeiten der Vergangenheit und er fühlte alle
  Schmerzen der Gegenwart. Aber er begriff nicht die Heiligkeit dieser
  Schmerzen und ihre Nothwendigkeit für das künftige Heil der Welt. Er
  sah die Sonne untergehn und blickte wehmüthig nach der Stelle dieses
  Untergangs und klagte über das nächtliche Dunkel, das er heranziehen
35 sah; und er merkte nicht, daß schon ein neues Morgenroth an der
  entgegengesetzten Seite leuchtete. Fr. Schlegel nannte einst den Ge-
  schichtsforscher »einen umgekehrten Propheten«. Dieses Wort ist die
  beste Bezeichnung für ihn selbst. Die Gegenwart war ihm verhaßt, die
  Zukunft erschreckte ihn, und nur in die Vergangenheit, die er liebte,
40 drangen seine offenbarenden Seherblicke.
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