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| | Frau v. Staëls Werk de l'Allemagne ist die einzige umfassende Kunde, |
5 | | welche die Franzosen über das geistige Leben Deutschlands erhalten |
| | haben. Und doch ist, seitdem dieses Buch erschienen, ein großer Zeit- |
| | raum verflossen und eine ganz neue Literatur hat sich unterdessen in |
| | Deutschland entfaltet. Ist es nur eine Uebergangsliteratur? hat sie |
| | schon ihre Blüthe erreicht? ist sie bereits abgewelkt? Hierüber sind die |
10 | | Meinungen getheilt. Die meisten glauben, mit dem Tode Goethes be- |
| | ginne in Deutschland eine neue literarische Periode, mit ihm sey auch |
| | das alte Deutschland zu Grabe gegangen, die aristokratische Zeit der |
| | Literatur sey zu Ende, die demokratische beginne, oder, wie sich ein |
| | französischer Journalist jüngst ausdrückte: »der Geist der Einzelnen |
15 | | habe aufgehört, der Geist Aller habe angefangen.« |
| | Was mich betrifft, so vermag ich nicht in so bestimmter Weise über |
| | die künftigen Evoluzionen des deutschen Geistes abzuurtheilen. Die |
| | Endschaft der »goetheschen Kunstperiode«, mit welchem Namen ich |
| | diese Periode zuerst bezeichnete, habe ich jedoch schon seit vielen |
20 | | Jahren vorausgesagt. Ich hatte gut prophezeyen! Ich kannte sehr gut |
| | die Mittel und Wege jener Unzufriedenen, die dem goetheschen Kunst- |
| | reich ein Ende machen wollten, und in den damaligen Emeuten gegen |
| | Goethe will man sogar mich selbst gesehen haben. Nun Goethe todt ist |
| | bemächtigt sich meiner darob ein wunderbarer Schmerz. |
25 | | Indem ich diese Blätter gleichsam als eine Fortsetzung des Frau |
| | v. Staëlschen de l'Allemagne ankündige, muß ich, die Belehrung rüh- |
| | mend die man aus diesem Werke schöpfen kann, dennoch eine gewisse |
| | Vorsicht beim Gebrauche desselben anempfehlen und es durchaus als |
| | Koteriebuch bezeichnen. Frau v. Staël, glorreichen Andenkens, hat |
30 | | hier, in der Form eines Buches, gleichsam einen Salon eröffnet, worin |
| | sie deutsche Schriftsteller empfing und ihnen Gelegenheit gab sich der |
| | französischen zivilisirten Welt bekannt zu machen; aber in dem Getöse |
| | der verschiedensten Stimmen, die aus diesem Buche hervorschreyen, |
| | hört man doch immer am vernehmlichsten den feinen Diskant des |
35 | | Herrn A. W. Schlegel. Wo sie ganz selbst ist, wo die großfühlende Frau |
| | sich unmittelbar ausspricht mit ihrem ganzen stralenden Herzen, mit |
| | dem ganzen Feuerwerk ihrer Geistesraketen und brillanten Tollheiten: |
| | da ist das Buch gut und vortrefflich. Sobald sie aber fremden Ein- |
| | flüsterungen gehorcht, sobald sie einer Schule huldigt, deren Wesen ihr |
40 | | ganz fremd und unbegreifbar ist, sobald sie durch die Anpreisung |