DHA, Bd. 6, S.         

Entstehung und Aufnahme

Briefe aus Berlin
  
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10 Als der junge Heine in der zweiten Märzhälfte 1821 in Berlin eintraf, um sich
  dort alsStudiosus jurisimmatrikulieren zu lassen (4. April), sah er sich
  zum erstenmal in seinem Leben in ein typisches Großstadtmilieu versetzt.
  Düsseldorf, Bonn, Göttingen, ja selbst Hamburg mußten ihm neben einer
  Haupt- und Residenzstadt wie Berlin, die damals etwa 200 000 Einwohner
15 zählte, plötzlich wie zurückgebliebene und ereignislose Kleinstädte er-
  scheinen. Wo gab es in diesen Jahren ein solches Theater- und Gesellschafts-
  leben? Wo sah man soviel berühmte Leute in einer Stadt versammelt? Wo
  fand man größere lukullische Genüsse als bei Jagor und Josty? Sein Studium
  beschäftigte Heine darum bald nur noch in zweiter Linie. Er ging zwar in
20 einige Vorlesungen von Johann Christian Hasse, Theodor Anton Schmalz,
  Friedrich von Savigny, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Franz Bopp, Friedrich
  August Wolf und Friedrich von Raumer, sah jedoch im rein Akademischen
  bloß eine schöne Nebensache. Welche Kollegs er wirklich von Anfang bis
  Ende gehört hat, läßt sich nicht mehr definitiv ermitteln, da beim Archiv der
25 Berliner Humboldt-Universität nur der Immatrikulationsvermerk und das
  Abgangszeugnis vorliegen. Im großen und ganzen scheint ihn das Professoren-
  und Studentenmilieu relativ kaltgelassen zu haben. Um so intensiver widmete
  sich Heine dem literarischen, musikalischen und im weiteren Sinnegeselligen
  Leben. So frequentierte er den Salon Elise von Hohenhausens, wo er aus
30 seinen Gedichten vorlas und alsdeutscher Byronbewundert wurde, speiste
  u. a. mit Friedrich Apollonius von Maltitz, August Wilhelm von Schilling,
  Ernst Christian August Keller, Eduard Gans, Friedrich Wilhelm Gubitz und
  Georg Klindworth im Café royal, verbrachte seine Donnerstagabende
  manchmal bei Philipp Veit, wo er Moses Moser, Leopold Zunz und Immanuel
35 Wohlwill kennenlernte, verkehrte im Salon Rahels und Varnhagen von
  Enses, wurde am 4. August 1822 Mitglied desVereins für Kultur und
  Wissenschaft der Judenund schloß sich einem Kreis junger Dichter um
  Christian Dietrich Grabbe, Karl Köchy, Friedrich von Uechtritz und Ludwig
  Robert an. Nimmt man noch seine häufigen Theater- und Redoutenbesuche
40 hinzu, muß Heines Gesamteindruck von Berlin ein erregender und verwir-
  render gewesen sein. Halb neugierig, halb angereizt gab er sich allem hin,
  was diese Stadt an Geselligkeit, Kunst, Wissenschaft, interessanten Charak-
  teren, Restaurants und Straßenleben zu bieten hatte.
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